DAU. Degeneration

DAU_DEG

 

ДАУ. ВЫРОЖДЕНИЕ

Regie: Ilya Khrzhanovsky, Ilya Permyakov
Buch: Ilya Khrzhanovsky, Ilya Permyakov

Mit Vladimir Azhippo, Dmitry Kaledin, Alexei Blinov, Viktoria Skitskaya, Alexey Trifonov, Maksim Martsinkevich
RUS 2020. 369 min. Streaming

Das hätte eigentlich der letzte Film der DAU-Serie sein müssen, weil er den Niedergang, die letzten Züge und schließlich das Ende des geheimen sowjetischen Forschungsinstituts zeigt, in dem die ganze Serie spielt. Tatsächlich ist es aber der zweite veröffentlichte Film und wurde gemeinsam mit dem schon besprochenen „DAU. Natasha“ (nachzulesen hier) bei der Berlinale gezeigt – etwa 10 Jahre nach den Dreharbeiten. Wer noch keinen Tau hat, was DAU ist, kann in der Natasha-Kritik auch einen Überblick dazu lesen.

So letzte Züge, bis jemand tatsächlich einen Abgang macht, können lange dauern und sind nicht schön anzuschauen. Das Institut  röchelt hier mehr als sechs Stunden dahin, bevor es einen unschönen Abgang macht. Schon zu Beginn wirken alle ziemlich fertig und daneben, von Wissenschaft und Vernunft ist da nicht viel zu sehen. Nachdem wir aber mit Natasha mehr die Cafeteria als die Labors erkundet haben, höchstens noch den Folterkeller, kann man nur schwer beurteilen, wie groß der Unterschied zu den angeblich glorreichen Anfangstagen des Institus ist. Dau, der angeblich geniale Wissenschaftler, ist nur mehr die Zombie-Version seiner selbst und offenbar schon jahrelang ans Bett gefesselt, nicht mehr sprechfähig – wie weit denkfähig, ist kaum zu erkennen. Das hindert die Propaganda-Abteilung nicht daran, verdiente Jungwissenschaftler in sein Schlafzimmer zu karren, um ihr großes Vorbild kennen zu lernen und Fragen zu stellen. Die dann aber Daus Frau mit nichtssagend-optimistischen Gemeinplätzen beantwortet, für die sich sogar Elisabeth Köstinger genieren würde. Na, vielleicht auch nicht. Trotzdem tun alle ehrfürchtig, tun begeistert ob der ihnen vorgeworfenen Wissensperlen, danach singen die Pfadfinder ein patriotisches Lied ab. Ungefähr so muss es zugegangen sein, wenn sie die Politbüro-Mumien zur Breschnew-Huldigung durch den Kreml geschoben haben.

Ansonsten zeigen schon die ersten Szenen, dass man im Instut endgültig dem esoterischen Wahnsinn verfallen ist, mit Vernunft und Wissenschaft hat das alles nix mehr zu tun. Zu einem Off-Text, der den Kommunismus sehr treffend als Religion beschreibt, sieht man einen (buddhistischen?) Mönch herumliegende Sowjet-Soldaten bepalmwedeln, während daneben Schäferhunde kläffen und sich der Hintergrundgesang anhört, als würde Sheldon Cooper den tuvinischen Kehlkopfgesang praktizieren. Dann laden sie sich einen orthodoxen Theologen und einen Wunderrabbi ein, um über die Verschmelzung von Physik und Religion zu diskutieren. Der Rabbi erzählt ein paar gescheite Anekdoten zum wissenschaftlichen Weltverständnis, beide blasen aber in ihrem Bemühen, ihr Erscheinen zu rechtfertigen und gleichzeitig das Politbüro nicht zu verärgern, unglaubliche Mengen heißer Luft durch den Raum. Damit fallen sie im Institut nicht besonders auf, denn das scheinen dort die Hauptaufgaben und -bemühungen der dortigen Insassen, äh Wissenschaftler zu sein: Sie müssen einerseits so tun, als würden sie unglaublich wichtige Forschungen machen und erstaunliche Ergebnisse liefern, um ihre Anstellung und ihr Budget zu rechtfertigen. Und wie macht man das? Indem man auch den unnötigsten Schas so verklausuliert und so mit wissenschaftlichen Begriffen aufmotzt, dass niemand mehr weiß, um was es geht. Andererseits geht das nur auf, wenn man gleichzeitig immer wieder zu erkennen gibt, dass man linientreu ist und mit seinen Forschungen die sowjetischen Ideale vorantreibt. Das gelingt am besten, indem entweder nur Propagandamüll von sich gibt und den Schas so verklausuliert und so mit wissenschaftlichen Begriffen aufmotzt, dass niemand mehr weiß, um was es geht, oder indem man das nämliche seinen allenfalls vorhandenen echten Ergebnissen antut, sodass man entweder nicht mehr erkennen, kann, was die ketzerische Idee eigentlich für einen Inhalt hat, oder sodass man mit seinen Schwurbeleien das Gegenteil von dem ausdrückt, was man eigentlich herausgefunden hat. Ganz grandios die eine Szene, in der einer der Wissenschaftler dem vom KGB eingesetzten neuen Institutsleiter zuerst weitwendig erklärt, wieso es statistisch-soziologisch unweigerlich in den nächsten Jahrzehnten dazu kommen muss, dass auch in kommunistischen System der unbeschränkte Zugang zu Information geschaffen werden muss, um das gleich wieder dahingehend zu relativieren, das man natürlich vorher danach trachten müsse, dass bis dahin alle Personen beseitigt werden, die mit einer solchen Informationsfreiheit nicht richtig umgehen können. Dabei merkt er nicht, dass sich der KGB-Agent schon längst überlegt, dass die einfachste Lösung des Problems wohl wäre, gleich jene Leute zu beseitigen, die sich so dumme Ideen wie Informationsfreiheit  überhaupt erst einfallen lassen, dabei aber die ganze Zeit freundlich und scheinverständnisvoll nickt und auf alles mit „Da.“ antwortet. Da. Da. Da. Das steht in diesem Fall für: Ich lieb dich nicht, du liebst mich nicht.

Und das ist erst die erste Stunde. Mich hat das Ganze an die Gebrüder Strugatzki erinnert, etwa an „Die Schnecke am Hang“ oder „Die häßlichen Schwäne“, nur ohne phantastische Elemente. Da bekommen alle eine aufs Haupt, die Bürokratie, die Religion, die Wissenschaft, und was es sonst noch an menschlichen Dummheiten gibt. Gleichzeitig – und das ist sechs Stunden lang nicht ohne – herrscht die ganze Zeit eine unglaublich intensive Atmosphäre von Unterdrückung, Einschüchterung, geistiger Enge und drohender Gewalt. Letztere wird dann noch realer, als der KGB zur besseren Kontrolle des Instituts eine Horde fanatischer, patriotischer, rassistischer Quasi-Neonazis engagiert – womöglich ein Kommentar der Regisseure zur postkommunistischen Entwicklung in dem einen oder anderen ehemaligen Ostblock-Land. Dass so ein Zusammenstoß zwischen wissenschaftlicher Elite-Ignoranz und roher Dumpfbacken-Ignoranz nicht gut ausgehen kann, kann man sich denken. Mitgefühl und echtes Denken ist beiden Seiten von einem entmenschten System schon lange ausgetrieben worden. Wenn da je was da war. Wuchtiges, bedrückendes Gedankenkino, das nicht unbedingt sechs Stunden hätte dauern müssen, fad ist es aber nie. Kann man nicht jedem empfehlen, wer sich drüber traut, wird reich belohnt. Und wer braucht heutzutage noch einen Glauben an die Menschheit…

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